Predigt über Apostelgeschichte 2, 1-28,
am Pfingstsonntag, den 24.5.2015 in der Johanniskirche in Aizpute
Die Gnade unseres Herrn Jesus Christus, die Liebe Gottes und die Gemeinschaft im Heiligen Geist sei mit Euch allen! Amen
Liebe Gemeinde!
Es ist mir eine große Freude, heute mit Ihnen gemeinsam in der Johanniskirche Pfingsten feiern zu dürfen. Herzlichen Dank an Pfarrer Bitenieks, der uns dazu eingeladen hat.
Ich bin zur Zeit unterwegs mit einer Familiengruppe, die auf den Spuren unserer Ur-Ur-Großmutter Erna von Buchholz durch Lettland reist. In dieser schönen Johanniskirche wurde sie 1857 oder 1858 konfirmiert. Mein Name ist Dietlind Fischer. Ich war Religionslehrerin und wissenschaftliche Mitarbeiterin im Comenius-Institut in Münster, eine Einrichtung, die von allen evangelischen Landeskirchen in Deutschland unterhalten wird.
Es ist nicht leicht, Kindern im Religionsunterricht der Grundschule Pfingsten zu erklären. „Warum feiern wir Pfingsten?“ Das Weihnachtsfest ist mit eindrucksvollen Erfahrungen und sinnlichen Erlebnissen besetzt, Krippe und Tannenbaum als Zeichen. Ostern ist zum Teil auch noch bekannt, die Ostereier sind ein wichtiges Symbol. Aber Pfingsten, darunter können sich Kinder nichts vorstellen. Das ist der „Geburtstag der Kirche“ sagen wir. Aber die Kinder denken dann, das Kirchengebäude hätte einen Gedenktag. „Der Heilige Geist ist den Christen geschenkt worden“. Das ist ja noch schwieriger zu erklären! Lehrer nehmen dann oft mittelalterliche Darstellungen zu Hilfe: man sieht auf den Bildern eine Gruppe von bärtigen Männern im Kreis sitzen, und über jedem Kopf steht eine kleine Flamme, die mit einer roten Linie von einer Taube in der Bildmitte oberhalb der Köpfe verbunden ist. Aha sagen die Kinder, am Geburtstag hat man Geburtstagskerzen, das leuchtet ihnen ein. Aber haben sie dann alles verstanden? Es handelt sich um ein fröhliches, heiteres Fest. Das merken sie wohl. Und werden neugierig.
Wenn man nun den Text der Apostelgeschichte dazu liest, kommt man aus dem Staunen kaum mehr heraus.
„1 Und als der Pfingsttag gekommen war, waren sie alle an einem Ort beieinander. 2 Und es geschah plötzlich ein Brausen vom Himmel wie von einem gewaltigen Wind und erfüllte das ganze Haus, in dem sie saßen. 3 Und es erschienen ihnen Zungen, zerteilt wie von Feuer; und er setzte sich auf einen jeden von ihnen, 4 und sie wurden alle erfüllt von dem heiligen Geist und fingen an zu predigen in andern Sprachen wie der Geist ihnen gab auszusprechen. 5 Es wohnten aber Juden in Jerusalem, die waren gottesfürchtige Männer aus allen Völkern unter dem Himmel. 6 Als nun dieses Brausen geschah, kam die Menge zusammen und wurde bestürzt; denn ein jeder hörte sie in seiner eigenen Sprache reden. 7 Sie entsetzten sich aber, verwunderten sich und sprachen: Siehe, sind nicht diese alle, die da reden, aus Galiläa? 8 Wie hören wir denn jeder seine eigene Muttersprache? Parther und Meder und Elamiter, und die wir wohnen in Mesopotamien und Judäa, Kappadozien, Pontus und der Provinz Asien, 10 Phrygien und Pamphylien, Ägypten und der Gegend von Kyrene in Libyen und Einwanderer aus Rom, 11 Juden und Judengenossen, Kreter und Araber: wir hören sie in unsern Sprachen von den großen Taten Gottes reden. 12 Sie entsetzten sich aber alle und wurden ratlos und sprachen einer zu dem andern: Was will das werden? 13 Andere aber hatten ihren Spott und sprachen: Sie sind voll von süßem Wein.
14 Da trat Petrus auf mit den Elf, erhob seine Stimme und redete zu Ihnen: Ihr Juden, liebe Männer, und alle, die ihr in Jerusalem wohnt, das sei euch kundgetan, und lasst meine Worte zu euren Ohren eingehen! 15 Denn diese sind nicht betrunken, wie ihr meint, ist es doch erst die dritte Stunde am Tage; 16 sondern das ist’s, was durch den Propheten Joel gesagt worden ist: 17 ‚Und es soll geschehen in den letzten Tagen, spricht Gott, da will ich ausgießen von meinem Geist auf alles Fleisch; und eure Söhne und eure Töchter sollen weissagen, und eure Jünglinge sollen Gesichte sehen, und eure Alten sollen Träume haben; 18 und auf meine Knechte und auf meine Mägde will ich in jenen Tagen von meinem Geist ausgießen, und sie sollen weissagen.“
Liebe Gemeinde!
An Pfingsten können sich die Menschen auf einmal gut verstehen. Sie reden zwar in verschiedenen Sprachen, aber sie verstehen einander. Das ist das Wunder von Pfingsten. Und dass wir uns gut verstehen und auch von anderen verstanden werden, das ist einer von den wichtigsten Punkten im Leben von uns Menschen, denke ich. Danach sehnt sich jeder: dass wir uns gut verstehen. Das bewirkt der Geist Gottes: er sorgt für das Verstehen, für das gute Verstehen.
Das Sprachwunder verweist auf eine besondere Ebene der Beziehung zwischen Menschen. Es geht nicht um Deutsch oder Englisch oder Lettisch oder Russisch. Auch nicht um die einzig gültige richtige Übersetzung. Sondern es geht um das, was mit den Worten gemeint ist, die Bedeutung, die zu Herzen geht und den ganzen Menschen betrifft. Das ist so ähnlich wie mit der Liebe. Stellen Sie sich vor, ein junger Mann sagt zu seiner Freundin: „Was ist denn Liebe? Beweis mir doch erst mal, dass du mich liebst, begründe dein Gefühl, erst dann kann ich das annehmen.“ Ich glaube, die Freundin würde ganz schnell die Beziehung beenden. Liebe kann man nicht beweisen.
So wie bei der Liebe geht das auch zu Pfingsten mit dem Geist Gottes. Den kann man nicht begründen oder beweisen, aber er kann wirken wie Feuerflammen. Der weht, wo er will, heißt es. Warum fragen wir trotzdem immer wieder nach Beweisen?
Es könnte uns so gehen wie einem Pastor vor über hundert Jahren. Er hatte sich ausgeklügelt, wie er zu Pfingsten seiner Gemeinde den Geist vorweisen könnte. Er verabredete mit seinem Küster, der sollte auf ein ganz bestimmtes Stichwort hin eine weiße Taube in die Kirche fliegen lassen. Die Taube ist ja das Symbol für den Heiligen Geist. Wie verabredet ging der Küster nach draußen als der Pastor seine Predigt begann. Er ging nach draußen zu dem Käfig, in dem er die Taube eingesperrt hatte. Aber als er nun zu dem Käfig kommt, sieht er nur noch ein paar weiße Federn herumfliegen. Und er bekommt gerade noch mit, wie eine Katze mit dem Rest von dem Geist-Symbol um die Ecke saust. Der Pastor hatte währenddessen schon zum zweiten Mal laut und deutlich das Stichwort aufgerufen, da kommt der Küster in die Kirche hineingestürzt und ruft außer Atem: „Herr Pastor, Herr Pastor, den Geist hat die Katze aufgefressen.“
Ja, so ist das: den Geist, den einer beweisen will, den hat die Katze aufgefressen.
Gottes Geist aber, der wirkt auf einer anderen Ebene. Dabei geht es um Tiefe. Dabei geht es um Gebet und um Wahrheit. Und dieser Geist Gottes lehrt uns besser zu verstehen, auf dreifache Art:
Der Geist kann uns dabei helfen.
Erstens: dass wir uns selbst besser verstehen können.
Zweitens: er lehrt uns, andere Menschen besser zu verstehen.
Und Drittens : Dieser Geist lässt uns Gott erkennen, damit wir Gott besser verstehen.
Das ist doch eigenartig: Ich denke in keiner Zeit zuvor kannten wir so viele verschiedene Wege, wie Menschen sich miteinander austauschen können. So viele Gelegenheiten zum Kommunizieren. Nicht bloß mit Briefen oder übers Telefon, im Radio oder Fernsehen. Nein, per Handy oder Email und Facebook dauert es nur Sekunden, Nachrichten zu übermitteln. Und dennoch gibt es so viele Menschen die klagen: „Wer spricht denn noch richtig mit mir?“ Oder: „Ich habe niemanden der mich wirklich versteht.“
Hier kommt er ins Spiel, der Geist von Pfingsten. Dieser Pfingstgeist lehrt mich, mich selber besser und tiefer zu verstehen. Gottes Geist sagt mir und jedem hier in der Kirche: wie wichtig ich bin. Wichtig in den Augen Gottes. Gott meint mich und Sie. Das lässt uns der Pfingstgeist erfahren. Und zwar in unserer Muttersprache, so dass wir das gut mit dem Herzen verstehen können. Gottes Geist macht mich frei. Weil er mich wissen lässt, Gott meint mich, ich bin ihm wichtig, darum kann ich frei sein. Und muss nicht fürchten, was andere von mir denken.
Die Sache mit dem Verstehen oder Nicht-Verstehen, das ist eine uralte Geschichte unter uns Menschen. Der Pfingstgeist lehrt uns, andere Menschen besser zu verstehen. So von Herz zu Herz, meine ich, auf dieser anderen, dieser tieferen Ebene. Ist das nur Wortgeklingel? Es heißt, der Geist weht wo und wann er will. Es passiert einfach so, das Verstehen. Gemeinsam Pfingsten zu feiern, auch wenn wir uns gar nicht kennen – wirkt da nicht auch Gottes lebendiger Geist? Dieser Geist vertreibt auch die Angst vor dem Fremden und auch den Hass gegen Ausländer. Man braucht nicht lange zu fragen, wer hier lutherisch ist oder reformiert oder katholisch, jeder fühlt sich eingeladen. Und der uns gemeinsam einlud, das war Jesus von Nazareth, der keine Fremden kennt. Da wirkt Gottes Geist, den er uns verheißen hat.
Und schließlich: Der Pfingstgeist lehrt uns, Gott verstehen. Sagen Sie jetzt nicht gleich, davon verstehe ich nichts. Das ist eigentlich ziemlich einfach. Nämlich: So wie ich mit anderen Menschen umgehe, so gehe ich auch mit Gott um. Wenn ich andere links liegen lasse, dann lasse ich Gott links liegen. Wenn für mich die Hälfte der Menschen um mich herum gleichgültig ist, dann ist mir Gott zur Hälfte gleichgültig. Aber wo ich einen anderen Menschen achte, da achte ich Gott. Spüren Sie: Im Grunde ist das sehr einfach zu erkennen, was Gott mir bedeutet. „Was ihr getan habt einem unter diesen Menschen, sagt Jesus, „das habt ihr mir getan.“
Sehen Sie! So einfach ist das mit dem gut Verstehen, mit dem Gott verstehen. Darum zum Schluss:
„O Gott, sende uns deinen Geist. So dass wir alle spüren, woher der Wind weht.“
Amen.
Dietlind Fischer